(Kiel) Die Lieferungen von Tablet-Computern und Spielekonsolen sowie von bestimmten Metallen nach Anlage 4 des Umsatzsteuergesetzes unterliegen ab dem 1. Oktober 2014 der umgekehrten Steuerschuldnerschaft (Reverse-Charge-Verfahren) gem. § 13b Umsatzsteuergesetz (UStG).

Unternehmen müssen überprüfen, ob Sie einkaufs- bzw. verkaufsseitig betroffen sind und gegebenenfalls ihre Abrechnungssysteme anpassen. Aus einer falschen Beurteilung resultieren umsatzsteuerliche Risiken.

Darauf verweist der Hamburger Steuerberater Carsten Nesemann, Mitglied im DUV Deutscher Unternehmenssteuer Verband e. V. mit Sitz in Kiel.

Hintergrund

Die Umsatzsteuer wird von dem Grundgedanken getragen, dass sie vom Leistenden in Rechnung gestellt und an das Finanzamt abgeführt wird, während der als Unternehmer handelnde Leistungsempfänger die Steuer an den Leistenden zahlt und grundsätzlich einen Vorsteuerabzug bei dem für ihn zuständigen Finanzamt geltend macht. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein solches System – zumindest denklogisch – Betrüger anlockt, zumal der Anspruch auf Vorsteuerabzug unabhängig davon entsteht, ob der Leistende die Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt hat. Diesem systemischen Problem trägt das Konzept der Steuerschuldumkehr gem. § 13b UStG Rechnung; dann nämlich wird die Umsatzsteuer vom Leistungsempfänger geschuldet und (bei Erfüllung der übrigen Voraussetzungen) direkt mit dem Vorsteueranspruch verrechnet. Die Gefahr, dass der Fiskus Vorsteuerbeträge anerkennt, ohne dass die Umsatzsteuer an ihn abgeführt wird, ist dadurch gebannt.
Die „Entdeckung“ dieser Maßnahme zur Vermeidung von Steuerbetrug bei nicht grenzüberschreitenden Umsätzen liegt seit der Einführung für Bauleistungen inzwischen mehr als 10 Jahre zurück. Sie gilt mittlerweile für weitere sonstige Leistungen (Handel mit Emissionszertifikaten, Gebäudereinigungsleistungen), sowie für bestimmte Liefertatbestände (werthaltige Abfälle, Gold und Goldplattierungen, Strom und Gas, Mobilfunkgeräte und integrierte Schaltkreise), wobei detaillierte Vorschriften zur Eingrenzung des Anwendungsbereichs zu beachten sind.

I. Neuregelung zum 1. Oktober 2014

Der Gesetzgeber hat ein weiteres Mal diese „Geheimwaffe“ gegen den Steuerbetrug in Stellung gebracht, und im Rahmen des sog. Kroatiengesetzes den Anwendungsbereich in zwei Bereichen erweitert, nämlich für Tablet-Computer und Spielekonsolen einerseits sowie für bestimmte (edle und unedle) Metalle, Selen (ein chemisches Element, welches als Nahrungsergänzungsmittel dient, aber auch bei vielen industriellen Produktionsprozessen zum Einsatz kommt) und Cermets (Verbundwerkstoff aus keramischen Werkstoffen und einer metallischen Matrix) andererseits. Die Neuregelung geht einher mit der Ergänzung des Umsatzsteuergesetzes um eine Anlage 4 und einem 20-seitigen Schreiben der Finanzverwaltung vom 26. September 2014.

II. Kritik an der handwerklichen Konstruktion der Neuregelung

1. Tablet-Computer und Spielekonsolen

Hinsichtlich des Anwendungsbereichs für Spielekonsolen fehlt (ähnlich wie bei den integrierten Schaltkreisen) ein eindeutiges Abgrenzungskriterium. Die Finanzverwaltung beschränkt sich auf die Feststellung, dass es sich um „Computer oder computerähnliche Geräte“ handelt, „die in erster Linie für Videospiele entwickelt werden“ und weitere „Funktionen bieten, z.B. Wiedergabe von CDs, DVDs und Blue-ray Discs“. Diese Umschreibung erweist sich als unzureichend. Bei den Tablet-Computern wird immerhin auf eine Zolltarifnummer verwiesen. In der Praxis wird sich zeigen müssen, ob die Kriterien eine zweifelsfreie Einordnung einzelner Produkte ermöglichen. Positiv hervorzuheben ist, dass das Reverse-Charge-Verfahren nur Anwendung findet, wenn der Nettoumsatz mindestens 5.000 Euro beträgt.

2. Bestimmte Metalle

Als gänzlich missglückt erweist sich Neuregelung betreffend Edelmetalle, unedle Metalle, Selen und Cermets. Zum einen erschließen sich die Ausführungen der Finanzverwaltung (Abschnitt 13b.7a Umsatzsteueranwendungserlass) dem Leser nur, wenn er eine metallurgische Ausbildung genossen hat und darüber hinaus in der Tarifierung anhand des Zolltarifs geübt ist. Der lapidare Hinweis, dass in Zweifelsfällen eine unverbindliche Zolltarifauskunft (uvZTA) eingeholt werden kann, ist hoffentlich mit der Zollverwaltung abgestimmt, ist doch mit zahlreichen neuen Anfragen zu rechnen; es sei denn, die bei einer für die Einreihung notwendigen chemisch-physikalischen Warenuntersuchung entstehenden Kosten wirken abschreckend genug. Zum anderen hat der Gesetzgeber offensichtlich übersehen, dass zahlreiche Waren des täglichen Bedarfs (Alufolie) und auch klassische Baumarktartikel (Draht, Profile) unter die Neuregelung fallen. Anders als bei den Tablets und Konsolen gilt hier die 5.000 Euro-Grenze nicht. Der insoweit ebenfalls betroffene Einzelhandel dürfte insofern mit der Neuregelung schlichtweg überfordert sein.

3. Anwendungsregelungen

Die kurze Übergangsfrist (das Gesetz wurde im Juli verabschiedet und die Neuregelung sollte grundsätzlich am 1. Oktober 2014 in Kraft treten) erweckt den Eindruck, dass aufgrund massiver Betrugsfälle umgehender Handlungsbedarf gesehen wurde. Ein Inkrafttreten zum 1. Januar 2015 hätte möglicherweise auch gereicht und den betroffenen Unternehmen die Chance gegeben, die Produkte einzuordnen und das Abrechnungsverfahren umzustellen. Stattdessen wurde eine Nichtbeanstandungsregelung für das 4. Quartal 2014 getroffen, wonach die Parteien einvernehmlich von der Steuerschuld des Leistenden ausgehen können, „wenn der Umsatz vom leistenden Unternehmer in zutreffender Höhe versteuert wird“. Wie der Leistungsempfänger diesen Nachweis führen bzw. sich dagegen schützen soll, dass der Leistende die Steuer zwar abrechnet, aber nicht abführt, ist nicht erläutert. Eine Vertrauensschutzregelung sieht jedenfalls anders aus.

III. Handlungsempfehlung für Verkäufer und Käufer

Die handwerklich überhaupt nicht gelungene Implementierung der Neuregelung ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Unternehmen der Herausforderung stellen müssen. Weil eine fehlerhafte Beurteilung hinsichtlich der Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens entweder zu Steuerrisiken beim Verkäufer oder zu Vorsteuerrisiken beim Käufer führen, stehen sich deren Überlegungen zum Umgang mit der Neu- und Übergangsregelung diametral gegenüber:

Der Leistende, der in erster Linie über die umsatzsteuerliche Behandlung eines Umsatzes zu entscheiden hat, möchte im Zweifel mit Umsatzsteuer abrechnen. Hat er die Überprüfung zur Anwendung des Reverse-Charge-Verfahrens mit positivem Ergebnis abgeschlossen, kann er dem Käufer für die nach dem 30. September 2014 ausgeführten Umsätze eine Nettoabrechnung anbieten (ab 1. Januar 2015 ist das zwingend). Wie in allen anderen Fällen auch empfiehlt sich bei materiell bedeutsamen Umsätzen die Vereinbarung einer Steuerklausel, die es dem Verkäufer erlaubt, die Umsatzsteuer später nachzufordern, wenn das zuständige Finanzamt die Anwendung der Steuerschuldumkehr ablehnt.

Der Leistungsempfänger wird im Hinblick auf sein Vorsteuerrisiko in Zweifelsfällen eine Rechnung ohne Umsatzsteuer präferieren. Sollte sich der Verkäufer auf diese Variante nicht einlassen, was insbesondere in der Übergangszeit zu erwarten ist, muss sich der Käufer zusätzlich absichern. Hierzu gehört wohl insbesondere eine schriftliche Bestätigung des Verkäufers, dass dieser die berechnete Steuer auch gegenüber dem Finanzamt deklariert.

Bei wiederkehrenden Umsätzen empfiehlt sich im Interesse beider Parteien die Einholung einer Zolltarifauskunft. Die Einbeziehung eines Beraters ist empfehlenswert, weil das gewünschte Tarifierungsergebnis wahrscheinlicher ist bzw. schneller vorliegt, wenn der an die Behörde zu richtende Tarifierungsantrag von einem Spezialisten vorbereitet wird. Die entstehenden Kosten könnten sich beide Parteien teilen.

Eine Umstellung der Abrechnungssysteme im Hinblick auf die in Anlage 4 genannten Produkte (Metalle etc.) empfiehlt sich in vielen Fällen noch nicht, weil erwartet wird, dass eine 5.000 Euro-Grenze eingeführt wird. Insbesondere der Einzelhandel sollte also davon ausgehen dürfen, dass sich an der Abrechnung mit Umsatzsteuer nichts ändert.

Fazit

Die Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Regelungen zur Steuerschuldumkehr erscheint beliebig und erweckt den Eindruck, dass sich der Gesetzgeber in einem ständigen Wettlauf mit Steuerbetrügern um die Aufdeckung und Schließung von Betrugsfeldern wähnt. Ob es legitim ist, dass grundsätzliche Besteuerungsprinzipien (sprich: die Steuer wird vom Leistenden geschuldet) durch Ausnahmen immer weiter ausgehöhlt werden, erschient zweifelhaft. Ungeachtet dessen darf aber gefordert werden, dass derartige Umstellungen in einer Art und Weise vorgenommen werden, die den Übergang an sich leicht möglich machen und die auch in der Anwendung einfach und transparent sind. Das ist im vorliegenden Fall trefflich misslungen.

Nachdem schon die – vom Bundesfinanzhof angeschobene – Neuregelung der Vorschriften zur Steuerschuldumkehr bei Bauleistungen zu erheblichen Irritationen geführt hat, impliziert auch die vorliegende Einführung des Reverse-Charge-Verfahrens für Tablets, Spielekonsolen und bestimmte Metalle Rechtsunsicherheiten mit der Folge von Steuerrisiken auf Ebene der Vertragsparteien. Eine sorgfältige Prüfung des einzelnen Sachverhalts ist dringend geboten, dies gilt insbesondere für den Übergangszeitraum. Äußerst kritisch ist zu bewerten, dass der auf Seiten des Leistenden vermuteten betrügerischen Energie durch eine Regelung begegnet werden soll, die beim Leistungsempfänger neue Risiken schafft. Mit Spannung abzuwarten bleibt, wie sich Betriebsprüfer in steuerlichen Betriebsprüfungen positionieren werden. Keine Zweifel sollten dahingehend bestehen, dass die Liste der unter das Reverse-Charge-Verfahren fallenden Umsätze weiter ergänzt wird.

Nesemann empfahl, dies zu beachten und ggfs. steuerlichen Rat in Anspruch zu nehmen, wobei er dabei u. a. auf den DUV Deutschen Unternehmenssteuer Verband – www.duv-verband.de – verwies.
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Carsten Nesemann
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